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Der vorletzte Erholungsurlaub in meiner Bundeswehrzeit ist zu Ende, bis zum 28.09 werde ich werktags
arbeiten Dienst haben. Gestern Abend bin ich mit dem ICE von Köln nach Koblenz gefahren,
ich fahre bereits sonntags, montags wär ich sonst nicht pünktlich.
Im koblenzer Bahnhof angekommen, fiel mir auf dem Weg zum Ausgang ein Rucksack auf, der einsam in der Gepäckabgabe lag. Offensichtlich vergessen. Es erschien mir unsinnig, ihn getrennt von seinen Besitzern weiterfahren zu lassen. Ich nahm ihn daher mit.
Da der ICE so gut wie immer Verspätung hat, ist die Anschlussbahn oft schon abgefahren, oder zumindest kurz davor. Mitsamt gefundenem Rucksack setze ich mich direkt in den noch stehenden Anschlusszug, den Fund beschloss ich erst am Folgetag abzugeben.
In der Bahn untersuchte ich den Rucksack oberflächlich nach Hinweisen auf seinen Eigentümer. Das Hauptfach war prall gefüllt, ganz oben lag möglicherweise ein gelbes Regencape oder ein kleines Schlauchboot. Ich fühlte nur das geknüllte Plastik, Ausbreiten verschob ich auf später.
Die linke Seitentasche enthielt einen kleinen Analog-Fotoapparat, die rechte wurde nicht untersucht.
Im vorderen Fach befand sich ein Discman und einen Stapel CDs.
Ein rausgezogener Rohling war mit Gentleman
beschriftet,
darunter lag ein Hip-Hop-Album. Der Name des Hip-Hip-Albums sagte mir nichts, aber auch ohne
Gentleman
irgendeinem Lied zuordnen zu können, bin ich sicher, dass er zum Einheitsbrei gehört.
Mehr habe ich nicht angeschaut, ein Portmonee oder ein Namensschild war offensichtlich auch in der vorderen Tasche nicht enthalten.
Der anschließende Blick auf die Uhr zeigte, dass der ICE zur Abwechslung mal pünktlich gekommen war, bis zur Abfahrt der Bimmelbahn in der ich saß, würden noch sieben Minuten verstreichen. Genug um den Rucksack noch beim Bahnhofspersonal abzugeben und die Eigentümersuche auf andere abzuwälzen.
Die Bahnauskunft besteht im koblenzer Hauptbahnhof aus einem mit zwei Personen besetzten Rondell, das mittig in der Eingangshalle steht. Darinnen sitzt man Rücken an Rücken, unter Beobachtung aus allen Richtungen. Ähnlich einem Affenkäfig, nur das der meist an einer Seite eine Wand hat, an der der Kletterbaum steht.
Beide Käfigbewohner waren gerade nicht ansprechbar, eine Frau gab Auskunft, ihr Käfiggenosse telefonierte. Auch vor ihm stand Kundschaft, tapfer versuchte er zu helfen.
Die Zeit verstrich, höflich wartete ich auf Erlösung.
Während ich abwechselnd meine Uhr und das vor mir liegende Gepäck betrachtete, zog plötzlich eine
entgeisterte Männerstimme von rechts meine Aufmerksamkeit auf sich: Der hat ihn ja in der Hand
.
Der
war ich, ihn
bezog sich auf den Rucksack. Die Stimme kam vom Eigentümer,
zusammen mit einer Frau stand er noch kurze Zeit früher vor dem telefonierenden Käfigbewohner.
Das Telefonat galt wohl dem lange abgefahrenden ICE.
Anhand ihrer Kleidung ordnete ich das rucksacklose Pärchen als Studenten ein. Als Studienfächer kamen Kunst, Psychologie und Pädagogik in Frage – zur Bestätigung meiner Vorurteile fehlte mir die Zeit.
Ich hielt dem Stimmeninhaber den Rucksack hin, fassungslos nahm der ihn an sich und schüttelte ergriffen meine Hand. Die Begleiterin war ebenfalls völlig aus dem Häuschen, wissen wollte sie, ob ich mich wohl auf eine Tasse Kaffee einladen lassen würde.
Kaffee am Bahnhof zu kaufen halte ich für Geldverschwendung, selbst wenn ich nicht für die überzogene Preise aufkommen muss, möchte ich den Missstand nicht unterstützen.
Die Rückgabe des Rucksacks sei gar kein Thema, teilte ich mit, außerdem würde mein Anschlusszug nicht warten. Beim Abschied wurde noch mal gedankt, daraufhin zog ich mich zurück.
Leider trug ich keine Uniform, sonst eher geschürte Vorurteile gegen Flecktarnträger hätte ich damit abbauen können. Hiermit nachgeholt.